Johanna Adorján "Eine exklusive Liebe"

Im Herbst 1991 setzen Vera und Istvan ihrem Leben ein Ende. Alles ist organisiert, der Hund bei den Nachbarn, Päckchen mit Geschenken für Kinder, Enkel, Freunde stehen hübsch verpackt auf dem Wohnzimmertisch. Gemeinsam mit dem Brief, der genau so, wie es das praktische Handbuch "Final Exit" vorgibt, darauf hinweist, dass kein Gewaltverbrechen vorliegt, sondern ein Doppelselbstmord.

Die Enkelin Johanna Adorján geht der Geschichte dieses ungewöhnlichen Todes nach. Vera und Istvan waren ihre Großeltern. Ungarische Juden, die in Dänemark lebten. Von den Wirren des Jahrhunderts hatte es sie dorthin verschlagen. Dort lebten sie seit 1956, dort liebten sie sich. Ob sie auch glücklich wurden, bleibt unklar. Zu verschwiegen, zu verschlossen waren die beiden.

Die Geschichte einer Familie, die Geschichte einer Liebe, die Geschichte der Enkeltochter auf der Suche nach sich selbst, nach ihrer Identität. Es ist in der Tat ein bewegendes Buch und wurde von vielen gelobt. Mich läßt es dennoch etwas unbefriedigt zurück.

Die Geschichte dieses Liebespaares bekommt der Leser erzählt. Stationen ihres Lebens sind auch die Stationen der Geschichte Europas, wie sie in den Büchern steht. Holocaust, Krieg, sozialistische Diktatur, kalter Krieg. Die Autorin arbeitet heraus, warum ihre Großeltern vermutlich zu dem geworden sind, was sie waren.

Mit der Geschichte der Liebe ist es schon schwieriger. Hier muss die Autorin mutmaßen. Sie befragt Freunde und Weggefährten, flicht eigene Erinnerungen ein. Ganz auf den Grund kommt sie dem Liebespaar aber nicht. Vielleicht fehlt ihr dazu die Distanz. Nicht weil sie die Enkelin der beiden ist. Vielmehr weil sie dabei immer auch auf der Suche nach sich selbst ist. Die Passage in der sie sich in ihrer Großmutter wiederentdeckt, die sich nie geliebt, ja allein fühlte, läßt das sehr deutlich werden. Dieses Gefühl ist Adorjáns Schlüssel für den gemeinsamen Tod. Die Großmutter wollte, konnte ohne den Großvater nicht weiterleben. Die Enkelin Johanna ist immer noch auf der Suche nach dem EINEN der sie allein liebt und der ihr das tiefsitzende Gefühl der Einsamkeit nimmt. Sie überträgt diese Sehnsucht nach der einen großen Liebe auf das Ehepaar. Genau das ist es aber, was mir gegen den Strich geht. Die Großeltern hatten gute Gründe für ihre verschworene Zweisamkeit. Im Laufe ihres Lebens kommen sie immer wieder in existens- und lebensbedrohliche Situationen. Es ist der Gedanke an den anderen, die gemeinsame Liebe die Kraft gibt. Für mich sehr nachvollziehbare Gründe, warum man am Ende seines Lebens beschließt, nicht mehr voneinander zu lassen und gemeinsam den letzten finalen Schritt zu gehen. 

Es ist wunderbar, wenn man jemanden gefunden hat, mit dem man sich vorstellen kann, alt zu werden. Ich persönlich würde mir immer wünschen, dass der andere auch ohne mich weiterlebt. Was hätte alles andere für einen Sinn? Wahrscheinlich ist dieser Gedanke mein Hauptproblem mit dem Buch. Natürlich ist es irgendwie tragisch-romantisch, wenn sich ein Paar in seiner Liebe in den Tod begibt. Aber es ist auch abstoßend, diese Bedingungslosigkeit. 

Fazit: Trotz meines Unbehagens empfehle ich das Buch, denn zweifellos hat es mich sehr zum Nachdenken gebracht. Es ist ein interessanter und sehr persönlicher Blick auf eine Familie in Europa. Sprachlich gibt es nichts zu mäkeln. Johanna Adorján versteht ihr Handwerk.

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