Wsewolod Petrow "Die Manon Lescaut von Turdej"


Da hat mich doch der Fraktionsvorsitzende neulich auf die Russen aufmerksam gemacht. Wurde ja auch Zeit. Streife ich also am Sonnabend wieder mal durch meinen Konsumtempel und finde dieses aufregende Büchlein. Mit 124 Seiten, inklusive Anhang und Nachwort eher schmal, verbirgt sich zwischen den Seiten eine starke, herzzerreißende, romantische Liebesgeschichte.

Ein Lazarettzug fährt durch den Krieg. Es ist der 2. Weltkrieg, der den Rahmen der Handlung vorgibt. Ein sowjetischer Offizier mit angstbedingten Herzproblemen verliebt sich in die Sanitätsschwester Vera. Er ist von je her ein Eigenbrödler, ein Gottesnarr (wie ihn einer seiner Mitreisenden bezeichnet). Er "streift durch seinen Werther", natürlich Goethe im deutschen Orginal (ein Affront!). Sie dagegen ist lebenslustig, flatterhaft, wohl auch ein wenig naiv. Verliebt sich schnell und heftig, will irgendwie berühmt werden. Obwohl er den intellektuellen Austausch bei der Ärztin Nina sucht, verliebt er sich doch Hals über Kopf in das Mädchen Vera. Es ist eine völlig hoffnungslose Liebe, die nur den Moment kennt. Dieser Moment allerdings scheint grenzenlos, grenzenlos schön zu sein.

Nicht ohne Grund nennt Petrow seine Novelle "Die Manon Lescaut von Turdej". Hier wird querverwiesen und entliehen was das Zeug hält. Die Handlung selbst bezieht sich gleich auf zwei Werke. Zum einen auf eben diese "Manon Lescaut" von Prevost, zum anderen auf "Weggefährten" von Wera Panowa. Das genau macht das Bändchen in vielerlei Hinsicht interessant.

Petrow lebt seine Leidenschaft für das 18. Jahrhundert, für die Romantik voll aus. Gefühl, Leidenschaft, Individualität sind seine zentralen Themen. Er gibt seinen Lesern nämlich einige interessante Blicke auf die Romantik mit. Schön wie er über "die flammenden Menschen, die außerhalb der Form leben" schreibt. Oder darüber: "Rebellion ist spießig." Wir werden in den nächsten Monaten zum Geburtstag von Jean Paul noch ausreichend zum Thema „Romantik“ durch das deutsche Feuilleton gequält werden. Lest lieber dieses Büchlein, als all die Schlaubibeiträge.

Petrow verehrt die Kunst des 18. Jahrhunderts, das ist klar. Gleichzeitig brüskiert er damit die staatstragende Kulturpolitik in der Sowjetunion. Denn sein Hang zur Romantik ist so ziemlich das genaue Gegenteil zu dem, was gerade von sowjetischen Autoren erwartete wird. Nicht nur literarisch sind die "Helden der neuen Zeit" gefragt. Ach, mit wie viel Freude hätten wir dieses Büchlein in der DDR gelesen. Zwischen den Zeilen das gesehen, was nicht geschrieben steht. Konnten wir aber nicht, denn "Die Manon Lescaut von Turej" wurde nie veröffentlicht. Erst jetzt hat sich der WEIDLE VERLAG aus Bonn gefunden und die Novelle ans Licht befördert. Zum Glück.

Der Verlag gibt uns Lesern auch ein kleines Essay von Oleg Jurjew mit. Das ist sehr sinnvoll, erklärt sich so doch der ganze Kontext der Novelle. Jurjew stellt stark auf das Dissidententum Petrows ab. So liest man, Petrow hätte den Text aus „Ekel vor den Barbaren in den Redaktionen“ nicht veröffentlich. Vielleicht stimmt das. Vielleicht aber auch nicht. Belege für diese Behauptung werden nicht geliefert. Mich macht das ein wenig widerspenstig. Es kann auch andere Gründe gegeben haben, warum der Text vom Autor nie veröffentlicht wurde. Aber so läßt sich das Buch natürlich besser vermarkten.



Fazit: Für all jene, die über eine hoffnungslose und grenzenlose Liebe lesen wollen. Und für, die die zwischen den Zeilen zu lesen vermögen. ****

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