"Alles über Sally" oder warum die Ehe kein Ponyhof ist

Der Ausgangspunkt der Geschichte um das Ehepaar Sally und Alfred ist ein Einbruch. Beide sind gerade zum Wanderurlaub in England, da bricht jemand in ihr Wiener Haus ein. Während Sally sich beherzt den entstandenen Problemen stellt (Aufräumen, Wände streichen, Verluste bei der Polizei melden), entdeckt Alfred die Ängstlichkeit. Sicher fühlt er sich nicht mehr. Im Laufe der Geschichte stellt man fest, dass er gut daran tut. Denn Sally ist ein echtes Lebeweib. Was Alfred nicht mehr an Tatendrang in der Beziehung aufbringen kann, lebt sie anderswo aus. Sie beginnt eine Affäre mit dem Mann der gemeinsamen Freundin. Das tut ihr gut, sie fühlt sich lebendig. Alfred hütet in der Zwischenzeit das Haus und pflegt seinen Thrombose-Stützstrumpf. Am Ende kommt Sally dennoch zu ihrem wartenden Ehemann zurück. Soviel sei verraten. Warum und wieso muss man selbst erlesen.

Am Anfang fühlt man sich an Alan Bennets "Cosi fan tutte" erinnert. Da ist es nach 30 Jahren Ehe und einem Einbruch auch die Frau, die das gemeinsame Leben umkrempelt. Arno Geiger, der östereichische Autor dieses Romans, meinte auch genau das, in der Realität festgestellt zu haben. Oft sind es die Frauen um die 50, die mit Lebenshunger, Selbstbewußtsein und Mut aus eingefahrenen Wegen ausbrechen und aktiv ihr Leben in die Hand nehmen. Männer hingegen hat er als verhalten und ängstlich erlebt. Eingerichtet in ihrem Leben, bloß keine Veränderungen. Diese Beobachtung war ihm der Anlass für seinen Roman.

Arno Geiger ist ein sehr erfolgreicher Autor. Er hat den Deutschen Buchpreis gewonnen (naja, ob das ein Beleg für Qualität ist, sei mal dahin gestellt...) und er ist ein Liebling der Kritiker  (dito...). Geiger kann schreiben. Das erste Drittel des Romans ist ganz stark. Wie er die Ehe der beiden beschreibt, großartig. Die Flucht in die Affäre, absolut nachvollziehbar. 

Da liest man wunderbare Sätze: "Doch Sally, die lange genug zähneknirschend die tolerante Ehefrau und Mutter gespielt hatte, legt ihr Veto ein mit dem legendären Satz, der alles verhöhnte, was ihr heilig war. "Die Küche gehört mir!" (Ehemann und 3 Kinder bauen im ganzen Haus eine Eisenbahnanlage Spur 0 auf.) 

Oder. "Sally war eindeutig nicht mehr jung, an diesem Julitag, mit diesem Julikörper, Hälfte des Lebens." Hach. schön!

Und als letztes: "Sally jedenfalls tat ihr Möglichstes, den irreführenden und laxen Impressionismus der weichen Ausdrücke zu vermeiden." Davon kann ich gar nicht genug bekommen. 

Leider fesselte mich die Geschichte der beiden, trotz wundervoller Passagen nicht bis zum Ende. Zu sehr beleuchtet der Autor das Innenleben der Ehe, ohne dabei großartig voran zu kommen. Die ist nicht mehr dynamisch, zu Sallys Leidwesen und so kann es wohl auch die Beschreibung darüber nicht sein. Arno Geiger ist als Erzähler zu viel "Alfred". Er versucht beiden Figuren gerecht zu werden, ihre Entwicklung gleichermaßen darzustellen. Das ist etwas langatmig, zumal man durch seine genialen Bilder und Szenen schon längst begriffen hat, was da passiert.

Dennoch. Arno Geiger ist mit der "Sally" eine ganz wundervolle, starke Frauenfigur gelungen. Schön auch, dass man hier mal von einer tollen Frau lesen darf, die sexy, klug, impulsiv, launisch, unvernünftig, abgestumpft und neugierig ist.

Hier kann man hören, wie der Autor das selber sieht: Geiger über "Sally"

Das sagen andere über das Buch: Perlentaucher, deutsche Kritiker im O-Ton

Fazit: Für alle die Angst vor der Lebens-/Ehekrise haben. Für diejenigen, die Alan Bennetts "Cosi fan tutte",  Ian McEwans "Liebeswahn" oder Zeruya Shaleys "Liebesleben" mochten.

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